nüchterne Worte

Mit dem Telefon am Ohr kommt er aus dem Zimmer, in dem seine Freunde sitzen und geht im Wohnzimmer an mir vorbei. Mit einem Fingerzeit auf die Lippen, bittet er mich, ihn nicht anzusprechen und dann verschwindet er weiter telefonierend in die Küche. Im Vorgehen höre ich, Sohnemann spricht mir seiner Oma. Sie zog im letzten Sommer nach Berlin, damit sie die letzten Jahres ihres Lebens in der Nähe ihres Sohnes verbringen kann. Außer ihrem Enkelsohn und der Grabstelle ihres Sohnes hat sie in Rostock nichts zurück gelassen.

Mit “gute Nacht, beendet Sohnemann sein Gespräch mit Oma und fast den Inhalt mit nur ein paar Worten zusammen. “So, Papa ist jetzt weg” dabei sah er mich mit offenen Augen an. Das sein Vater vor fast 10 Jahren plötzlich verstarb, hat ihn ja schon einmal den Vater genommen. Was vom ihm blieb, waren ein paar Erinnerungen, Bilder und der Platz, an dem seine Urne bestattet wurde. Weil Oma die Grabstelle nun nicht mehr pflegen kann und sich finanziell verpflichtet fühlet, wenn Sohnemann die Pflege übernahm, beschloss sie vor ein paar Wochen, die Grabstelle einebnen zu lassen und was von ihr bleibt, sind wieder nur ein paar Bilder.

“Schmerzt es?” frag ich Sohnemann, weil ich denke, dass die Grabstelle für ihn ein Anlaufpunkt sein könnte. “Nein, mir reicht das Bild, was ich bei mir im Zimmer habe” antwortet er nüchtern, aber nicht ohne bebenden Unterton. “Oma hat das mit mir ja so abgesprochen”.

Stimmt, bevor Oma die Einebnung in Auftrag gab, hat sie ihren Enkelsohn darüber informiert.

Aber die nüchternen Worte gingen doch nicht so spurlos an mir vorbei und in der Nacht kamen viele Erinnerungen aus der Zeit von damals wieder zurück. Erst waren es die guten Zeiten und dann kamen die schlechten Zeiten. Der Kampf ums überleben gegen den verheerenden Alkoholismus, der seine sanfte Persönlichkeit schon zerfressen hatte. Nach der endgültigen Trennung treib ihn die Sehnsucht immer wieder zu mir zurück, doch ich musste an die Zukunft unseres gemeinsamen Sohnes denken und konnte mich von der Zerstörung seiner Alkoholkrankheit nicht noch weiter in die Tiefe ziehen lassen.

Es tat mir in den Seele weh, dass ich ihn immer wieder mit den flehenden Worten: “Geh zum Arzt und lass dir helfen”, vertreiben musste. Die Feindlichkeit in seinen Augen war nicht zu übersehen. Doch dann wandelte sich der Ausdruck in seinen Augen. Mit den Blicken eines treuen Hundes zog er sich wieder zurück. Die tiefe Traurigkeit in seinen Augen verfolgte mich noch für Stunden und es dauerte, bis ich mich davon distanzieren konnte.

Doch ich hielt mich an den Rat einer trockenen Alkoholikerin, die sagte: “Kümmern sie sich um ihr Kind, das ist das wichtigste.” Denn sie sah, dass ich am Ende meiner Kraft angekommen war.

Die schönen Zeiten liegen schon 20 Jahre zurück, die schlechten Zeiten 14 Jahre und dann kam das plötzliche Ende seines Lebens. Weil wir nicht verheiratet waren, wurde er von seiner Mutter allein und aller Stille und ohne Anzeige in der Tagespresse beigesetzt. Ich erfuhr erst nach der Beisetzung davon und so konnte ich mich auf traditionelle nicht von ihm verabschieden.

So wie er damals einfach weg war, so ist er heut auch einfach weg.

Ich hoffe, Sohnemann hat aus dem Leben seines Vaters gelernt und er macht aus seinem Leben das, was seine Träume ihm vorgeben. Noch scheut er sich davor, den steinigen Weg zu seinen Träumen zu gehen und ich muss ihn ab und zu wieder wachrütteln, aber dann nimmt er den Faden seines Lebens wieder auf…..

LaWe

bonanzaMARGOT - 16. Sep, 13:49

das sind familiengeschichten, wie sie das leben schreibt. dein damaliger partner hat`s einfach nicht geschafft. der alkohol war stärker. sohnemann ist nicht mehr und nicht weniger als andere jugendliche gefährdet. mit vernunft lässt sich einer sucht ja leider nicht beikommen. ich würde fast sagen, dass es schicksalhaft ist, ob man es schafft oder nicht. auf erwachsene kann man irgendwann nicht mehr einwirken - und sohnemann wird ja wohl in wenigen jahren auch seine eigenen wege gehen.
alkoholismus ist als krankheit noch nicht 100%ig erforscht, so dass man nicht weiß, warum manche menschen suchtkrank werden und andere nicht. es gibt aber sicher begünstigende soziale und psychische bedingungen. es ist augenscheinlich, dass labile persönlichkeiten eher suchtgefährdet sind. ebenso können traumata und schwere schicksale einen menschen zur sucht bringen. wo der hund bei deinem verstorbenen partner begraben lag ... - oft wissen die alkoholiker nicht mal selbst, warum sie trinken. man weiß nur, wie`s anfing, und wie es sich dann entwickelte, wie man immer weiter hinein rutschte und sich dem suchtmittel ergab. bei männern mag auch das milieu den alkoholismus befördern. unter jugendlichen männern wird um die wette gesoffen, und man gilt als männlich, wenn man mithalten kann. ich habe gehört, dass die jungen frauen das heute auch mitmachen.
ich kann gut verstehen, wie schwierig es für dich damals war, ihn immer wieder abzuweisen. es ist unendlich traurig, wenn man mitansehen muss, wie ein nahestehender mensch im teufelskreis festhängt und sein ganzes selbstwertgefühl verliert ... die familie leidet sehr darunter. aber ich bin sicher, dass du richtig handeltest, lawe.
er hatte nur die chance über eine therapie. und dafür hätte er den ersten schritt machen müssen. immerhin gibt es in deutschland ein dichtes netzt von drogenberatungsstellen. dort wird einem ein möglicher weg aufgezeigt. man erblickt dann vielleicht das erste mal wieder ein winzig kleines licht am horizont. doch leicht ist es eben nicht, diesen weg zu gehen ..., und die erfolgsaussichten trocken zu bleiben liegen nur - oder immerhin - bei ca. 60%. für einen starken trinker gibt`s keine alternative, wenn er noch ein paar jährchen leben will.
du hast diese schwere zeit bewältigt, lawe. es ist nun vergangenheit, geschichte. auch für deinen sohn. und wohl auch für seine großmutter in berlin. durch das ereignis, dass die grabstelle "verschwindet", gedenkt ihr nochmals intensiver als sonst im alltag dem menschen, dem vater deines sohnes, dem sohn der großmutter (in berlin), deinem partner, den du ehemals liebtest.
ja, irgendwann kehrt nüchternheit ein. es ist, wie es ist. gut so!

Lange-Weile - 18. Sep, 10:51

Erschütterungen und Gradwanderungen

Hallo Bo.,

nach der ganzen traurigen Misere von damals verschlang ich alles Bücher, die die Biliothek der Stadt her gab, die sich mit Alkoholismus befaßten. Auch ehemalige Alkoholiker beschrieben ihren Weg, der oft mit einem dramatischen Ereignis beendet wurde.
"Nur du allein schaffst es, aber allein schaffst du es nicht" war ein guter Schlüsselsatz für eine mögliche Lösung aus dem Konflikt.

Wenn man bedenkt, das der Schauspieler Jacki Schwarz ein alkoholkranker Mann ist, der die Wende 1989 in seinem Suff gar nicht mitbekam, staunt man nicht schlecht, dass man auch ein Leben danach ohne Alkohol bestehen kann.

Was mir bei dem Rückblick zu meinem Partner von damals noch in den Sinn kam, war das stufenartige Verschwinden, einfach so. Er stab einfach so, dann wurde er von Mutter allein bestattet, ohne das je ein Feund noch ich von ihm auf traditionelle Weise verabschieden konnte und ebenso plötzlich verschwindet die Grabstelle. Seine Mutter wollte ich zu Lebzeiten als Kind nicht loslassen, dann starb er in ihren Armen und verschwand einfach so von der Bildfläche mit allem was zu seinem Leben gehörte, außer Sohnemann. Er ist sozusagen der einzieg Nachlass aus dem Leben meines Partners.

Der Vater meines Partners war selber schwer alkoholkrank und brach in Delirien vor seinen kleinen Söhnen zusammen. Später nahm er sich das Leben, warf sich vor einen Zug und ich denke, das waren für seine Söhne erschütternde Erlebnisse, von denen einer sie nicht verkraftetet.

Ich bewegte mich in meiner Jungend sicher auch an der Grenze und erinnere mich, dass ich mir erst eine Flasche im Supermarkt kaufte, bevor ich den Rest in den Korb lebte. Aufgewühlte Emotionen gab es genug um sich einen hinter die Binde zu kippen. Dann bekam ich plötzlich Angst, dass auf mich eine Trinkerkarriere wartete und ich veränderte mein Kauf- und Trinkverhalten.

Ich wünsch dir noch ein schönes WE

Gruß LaWe
bonanzaMARGOT - 18. Sep, 12:57

es gibt viele menschen, die erfolgreich ihren alkoholismus/ihre sucht niederringen konnten. es ist irgendwann schlicht eine frage des überlebenswillens - wie kostbar einem das noch verbleibende leben ist. freilich kann es da schon zu spät sein - wie bei meiner ex-chefin, deren leber bereits zerstört war, und die schließlich an einer varizenblutung starb.
ja, wenn ich mal tot bin, lawe, bleibt noch weniger als bei deinem ex-partner, denn ich habe keine kinder. was soll also bleiben als ein paar erinnerungen bei wenigen menschen, die mich zwischendurch begleiteten. vielleicht noch meine schriftstellerischen erzeugnisse, welche zum teil archiviert sind. gut dass es die elektronischen medien gibt. ansonsten würden meine gedichte sicher irgendwo verrotten.
aber sowieso egal. alles ist endlich und ist nur eine zeit lang von wert. der fluss des lebens fließt weiter ..., mit anderen protagonisten, die alle ihr schicksal erfüllen müssen.
bei allem wellengang und schiffbrüchen kann ich rückblickend sagen, dass ich ein schönes und interessantes leben hatte.
ich wollte kein spießer sein, und wurde auch keiner. ich blieb meiner lebensmaxime im großen und ganzen treu - auch wenn ich bis zur verzweiflung gegen windmühlen kämpfte ...
ich liebe das leben und hadere doch mit dem schicksal der existenz.
ja, ich trinke mir ganz gern einen, weil ich es liebe, in den tag hinein zu träumen ... ; ich bin nicht mehr der exzessive trinker von früher. das meer glättete sich etwas mit den jahren. vielleicht wuchs auch der geist und die lebensreife.

eine trinkerkarriere, die habe ich gewisserweise bereits hinter mir, lawe.
ich wünsche dir ein schönes wochenende!
creature - 18. Sep, 13:21

*in da kellagossn*

in der wiener volksmusik wird der wein besungen, wie kaum wo anders auf dem planeten.
bonanzaMARGOT - 18. Sep, 13:28

die irischen trinkerlieder finde ich besser.
creature - 18. Sep, 13:31

die kenn ich nicht, aber das buch "die asche meiner mutter", wo es auch um den vater geht der seinen lohn immer versoffen hatte!
bonanzaMARGOT - 18. Sep, 13:43

kennst` nicht die "dubliners"?

trinkerromane gibt`s jede menge.
einen berühmten roman schrieb fallada.
und jack london schrieb "könig alkohol".

"die asche meiner mutter" - der titel kommt mir bekannt vor ...
mein bedarf an tragischen trinkergeschichten ist allerdings gedeckt.

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