verlorener Sohn

Zwei unbeantwortete Anrufe auf meinem Handy. Unbekannte Nummer - gegen 11 Uhr. Zur der Zeit hatte ich übers Festnetz telefoniert und mein Handy nicht gehört.

"Aber wenn es dringend ist, wird der Anrufer sich schon wieder melden" denke ich so, da klingelt auch schon wieder das Telefon.Diesmal auf dem Festnetz.

"Ja?"

Die Anrufer holt noch einmal tief Luft, bevor er spricht. Ich höre ein Zittern in der Stimme.

"Frau H...?"

Das Zittern der Stimme läßt nichts gutes ahnen.

"Hier ist Frau B..." die Sekretärin der Schule meines Sohnes.

"Wir haben die ganze Zeit versucht, sie zu erreichen. Ihr Telefon war besetzt und ihr Handy haben sie wohl nicht gehört. Ihr Sohn wird grade ich die Klinik gebracht. Mit einen schweren Krampfanfall ist er im Boiunterricht von der Schulbank gefallen"

"Oh mein Gott. Als ich ihre Stimme hörte, dachte ich mir, dass mit meinem Sohn wieder etwas passiert ist"

"Nach dem Anfall war er verwirrt. Er konnte sich an einiges nicht mehr erinnern. Deshalb hat der Rettungasdienst ihn in die Nervenklink gebracht"

Dann werde ich zur Biologielehrerin durchgestellt. Auch an ihrer Stimme höre ich, wie sehr sie noch von dem Ereignis beeindruckt ist. Sie schildert mir noch einmal den Verlauf. Das mein Sohn sich nach dem Anfall sofort wieder auf die Bank gelegt hat und einschlief.

Ich bedanke mich auch bei seiner Biolehrerin und mache mich nach dem Gespräch gleich ans telefonieren.

"Verwirrt -Nervenklinik" schwiirrt mir durch den Kopf wie ein Karussel. SO schlimm war es noch nie.

Endlich erreiche ich die Zentrale der Nervenklinik, erkundige mich nach meinem Sohn.

"Meinen sie den 17 jährigen?"

"Ja"

"Ich stelle sie zur Klinik durch"

Kurz darauf meldet sich die Stimme einer Krankenschwester. "Sie meinen den 17 Jährigen?"

"Ja" doch ich kann den Weinkrampf nicht mehr unterdrücken.

"Der war hier. Nicht weinen" beruhigt sie mich. "Wie haben ihn in die Ambulanz geschickt. Rufen sie Schwester Katrin an - hier die Nummer"

Mit unterdrücktem Schluchzen schreibe ich die TelefonNummer der Ambulanz auf und bedanke mich bei der Schwester der Klinik.

Jetzt läßt sich mein Weinkrampf nicht mehr unter Kontrolle halten. Ich lass ihn raus - die Tränen fließen, als wäre jemand plötzlich gestorben. Nach 5 Minuten hab ich meinen Weinktrampf wieder unter Kontrolle und wähle die Nummer der Ambulanz, erkundige mich nach meinem Sohn.

"Meinen sie den 17 Jährigen?" fast muß ich schmunzeln,bei der sich immer wiederholenden Nachfrage.

"Ja, ich meine den 17 Jährigen"

"Der war hier. Aber er konnte schon wieder laufen und war fit. Wir haben ihn in die Kinder- und Jungendklinik zu seiner behandelnden Ärztin geschickt"

Ich bin erleichtert, wieder ein Lebenzeichen von meinem Sohn zu hören, bedanke mich bei der Schwester und suche nebenbei die Nummer der Klinik.

Der Weinkrampf, der sich wie eine haushohe Welle über meinen Kopf wälzte, ebbt ganz langsam wieder ab und ich kann wieder ohne Kloß im Hals sprechen.

In der Kinder- und Jugendklinik verweist man mich sofort auf die Station, auf der mein Sohn eingewiesen wurde.

Die Schwester der Station ist nett und bringt das Telefon gleich zu meinem Sohn ans Bett.

Endlich höre ich die Stimme meines verlorenen Sohnes wieder.

"Alles wieder gut" beruhigt er mich. Etwas in seiner Stimme beruhigt mich immer, egal was passiert ist. Wenn ich seine Stimme höre, bin ich wieder ruhig.

"Aber jetzt möchte ich Schluss machen. Mich lacht grad eine Bratwurst an, die vor mir steht"

Während ich auf meiner Seite erleichtert durchatme, genießt mein Sohn auf seiner Seite die Bratwurst.

Die nachfolgenden Untersuchungen sollten Klarheit in die Häufigkeit der Anfälle bringen. Um das schlimmste auszuschließen - ein heranwachsender Tumor im Kopf - wird er noch durch die Röhre geschickt.

Gestern Abend das Ergebnis. Alles Roger - der Medikamentenspsiegel ist gesunken und die Feststellung, dass in der Pupertät die Krampfanfälligkeit steigt.

Die Dosis der Medikation wird nach oben gesetzt und er darf die Klinik wieder verlassen. Der letzte Anfall war eine Lektion seines Körpers. Sein Körper verlangt die Akzeptanz der Epilepsie und damit eine gewissenhafte Einnahme des Medikaments.

"Aber ich will nicht krank sein"

"Das möchte keiner" antworte ich ihm. "Doch fast jeder Mensch hat irgend ein Leiden" doch es fällt uns kaum auf, weil jeder sich darauf eingestellt hat.
LaWe
punctum - 18. Apr, 12:58

oh schreck... deine angst kann ich nachempfinden. aber es scheint ja doch halbwegs gut gegangen zu sein. auch wenn epilepsie schon schwer genug ist. einen lieben gruß.

Lange-Weile - 18. Apr, 20:47

Dramatik

Hallo Punctum,
ja..für das Umfeld läuft alles dramatisch ab, mein Sohn bekommt nichts davon mit und wundert sich nur über die Kopfschmerzen.
Für mich und alle, die seine Freunde sind, sieht es während eines Anfalls aus, als wäre die Seele aus dem Körper gewichen.

Ich wünsche dir noch eine schöne Woche

Gruß LaWe
fata morgana - 18. Apr, 21:57

sicher ist es nicht leicht für einen heranwachsenden siebzehnjährigen jungen mann, mit dieser situation klar zu kommen. doch bestimmt wird er mit der zeit lernen, damit umzugehen.

ich schicke euch beiden einen lieben gedanken...

Lange-Weile - 18. Apr, 22:09

Strum und Drang - Zeit

Hallo Fata Morgana,
schön wieder von dir zu lesen.
Mit 17 ist mein Sohn noch in der Sturm und Drang Zeit und das schafft er den perfekten Lebensrhythmus noch nicht. Er will ebenso wie Altersgleiche mal eine Nacht durchmachen. Und fast immer geht das "wüste" Leben am Wochenende ohne Probleme über die Bühne, doch dieses Wochenende kammen wohl noch ein paar andere Belastungsfaktoren dazu.

Ich wünsche dir noch einen schönen Abend

Gruß LaWe
Mr. Spott - 19. Apr, 00:31

Meine Hochachtung, dass du bei solchem Stress noch Zeit und Lust zum Bloggen hast.

Lange-Weile - 19. Apr, 12:39

Überwindung

Hallo Mister Spott,

ja an manchen Tagen kommt es dick. Mir schießt es auch gleich in den Magen, wenn solche Anrufe aus der Schule kommen.
Mein Sohn muß seine Erfahrungen machen und erkennen, dass er seine Medikamente regelmäßig nehmen muß, wenn er mal Anfallsfrei werden will.
Doch Erkenntnis reift bei ihm leider oft durch solche schmerzvollen Ereignisse.

In seinem Fall ist die Epilepsie aber auch ein Schutz für ihn. Das mag etwas paradox klingen. Doch sein Vater - und auch dessen Vater - verstarb an Alkoholismus.
Mein Sohn darf wegen des Anfallsleiden keinen Alkohol trinken, weil es die Wirkung der Medikamente herabsetzt. Doch auf die Medikamente kann er nicht verzichten, da es sonst wieder zu dramatischen Anfällen kommen kann, deshalb muß er die Hände vom Alkohol lassen.

Er wird im Gegensatz zu seinem Vater und Großvater den Hang zum Alkohol überwinden müssen und deshalb sehe meinen Sohn als Nachkommen seines Vaters, der die verhängnisvolle Kette der Alkoholabhängigkeit unterbricht.

Die Anfälle ansich erschüttern mich aber immer wieder neu, denn es schwindet - wenn auch nur für Minuten - die Seele aus seinem Körper - er wirkt fremd und leer in diesen Momenten.

Gruß LaWe

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