Wunderwerk Mensch
Gestern stand ich davor und wußte nicht was ich fühlen und denken sollte.
Viel zu früh und doch nicht zu spät kam das kleine Wesen vor einer Woche zur Welt. Es schaffte die Hürde in den Inkubator und wartet jetzt geduldig auf seine zweite Entbindung.
Ich stand vor dem Wunderwerk Mensch. Klein und zierlich. zerbrechlich und verletztlich, wie das kleine Wesen da so im kleinen Kasten liegt, der fast eine Stimmung von Weihnachten aufkommen läßt.
Wunderwerk Mensch - der es geschaffte hat, diese Technik so weit zu entwickeln, dass auch so einem kleinen Wesen die Überleitung in das Leben ermöglicht.
Wunderwerk Mensch - der erst mit dieser aufwendigen Technik mir bewußt macht, welch komplizierten Prozeß der menschliche Körper zu regen kann.
Ich steh davor und weiß nicht, was ich fühlen soll.
Soll ich die Technik bestaunen?
Soll ich auf Distanz gehen?
Soll ich Gefühle zeigen?
Soll ich ohnmächtig weinen?
Gefühlsstumm stehe ich vor dem kleinen Wesen, dessen kleinen flacher Bauch sich mit jeden Atemzug sich auf- und abbewegt. Die kleine Lunge ist auf diese Arbeit noch nicht vorbereitet und läßt sich beatmen. Doch den einen oder anderen Atemzug macht das kleine Wesen auch schon, versichern die Ärzte.
Ich stehe davor und staune über das kleine zarte Leben und weiß noch nicht, wohin mit den Gefühlen, die sich einen Weg nach außen bahnen wollen.
Doch bevor sie austreten, wollen sie von mir wissen. "Willst du eine Beziehung zu dem kleinen Wesen herstellen?" Ein aufgeregter Funkverkehr flimmert in meinem Inneren zwischen Bauch und Verstand.
Mein Verstand manipuliert mich "Wenn du eine Beziehung herstellst, dann muß du den schmerzlichen Veraluf der weiteren Entwicklung auch emotional in Kauf nehmen" und droht mit Ängsten, die sich in den nächsten Wochen auch dazugesellen können. Ängste, die das bangen um das Kleine mit sich bringen.
Meine Augen tasten das kleine Wesen ab, während der Funkverkehr weiter geht. Ich sehe die zarte dünne Haut, die an einen roten Pfirsich erinnert. Meine Augen tasten die Schläuche ab, die in Massen am Körper angebracht sind.
So, als hätte ich Watte im Ohr und es können die Schallwellen nur abgedämpft zur mir vordringen.
Meine Gefühle beiben taub.
Doch der Funkverkehr rast zwischen Bauch und Verstand weiter. Der Bauch holt das Herz zur Hilfe und es schaltet sich in due Auseinandersetzung mit ein. Mein Herz sagt "Nimm es an, nimm das kleine Wesen an. Es braucht jede Zuwendung. Sieh, es hat so kleine Hände und hält sie dem Leben entgegen, Nimm es an und in meine Herz auf"
Meinem Herzen ist mein Verstand nicht gewachsen und hält mir kleinlaut die möglichen Komplikationen noch einmal vor Augen. Doch da ist die Beziehung zu dem kleinen Wesen schon hergestellt, meine ersten Tränen drängen nach außen. Ich muß weinen und weiß nicht, wohin mit den Tränen.
Ein Arzt tritt ins Zimmer und strahlt über das ganze Gesicht. Ein freundlichen Mensch, denke ich. Sein Bericht an die Mutter klingt wie ein Überraschungsei. Er blättert im Hefter der nächtlichen Aufzeichnungen. "Alles verläuft normal. Ihre kleine Tochter hat die ersten Hürden allein geschafft. Wir können auf einen operativen Eingriff verzichten"
Jetzt fasse ich Mut und berühre mit desinfiziereten Finger die kleinen Füße, die nicht größer als mein halber Daumen sind und dann ein kleine filigrane Hand, die nicht größer als mein Daumennagel ist.
Auch den körperliche Kontakt hab ich jetzt zum kleinen Wesen aufgenommen.

LaWe
Angenommen
in dem Entwichklungsstadium erkannte ich die Verletzlichkit des Mensch sehr deutlich. Zart und schwach. Zur Zeit kann sich aber nur der Vater kümmern, die Mutter liegt seit gestern in der Klinik.