Prioritäten
Heut heut hab ich die Wohnung wieder für mich allein. Der Freund von meinem Sohn konnte in seiner zerstörten Wohnung noch nicht leben und übernachtete auch bei mir. Vorgestern Abend kam noch ein Mädchen dazu und alle quatschten bis in die frühen Morgenstunden, so dass gestern früh im Wohnzimmer kaum noch Platz war um in die Küche zu kommen, denn die kann ich nur durch das Wohnzimmer erreichen.
Ich merkte fast körperlich, wie mein Lebensraum schwand und diese Tatsache mir meine Energie raubte. Tagsüber hatte ich innerlich gezetert, weil ich befürchtete, dass sich dieser Zustand scheinbar länger halten sollte, doch zum Glück hatte der Freund von meinem Sohn die Koffer gepackt. Er will in seiner Heimat überlegen, ob der nach dem Vorfall von Samstag Nacht weiter in Rostock bleiben wird. Der Schlägertrupp hatte ihn doch arg verunsichert und er weiß nicht mehr, ob die Stadt ihn hier noch will.
Auch ich stand vor vielen Jahren vor dieser Entscheidung und ich hatte die Koffer innerlich schon gepackt, um wieder in meine Heimat – auf die Insel Rügen – zurück zu kehren. Damals war ich grad frisch geschieden und mein Ex-Mann machte mir jeden Tag nach gut dünken die Hölle heiß. Er war in seiner Jugend ein Boxer und verstand sich nur auf diese Art der Kommunikation. Er sah mich als einen gegnerischen Boxer in der rotes Ecke im Ring, attackierte er mich ständig. Damals saß ich nachts in meinem Zimmer und flehte, dass das doch alles bald ein Ende nehmen würde und irgend wer flüsterte mir als Durchhaltelosung ein:”Wer weiß, wofür das alles gut ist”
Erst viel später erkannte ich, wofür dieses Höllenfeuer für mich gut war – ich veränderte meine Prioritäten-Liste und setzte materielle Werte an die letzte Stelle und die echten Freunde an oberste Stelle.
Ich denke auch für den Freund meines Sohnes steht diese Entscheidung an, d.h. die Umstellung der Prioritäten seines Lebens verlangen nach Veränderung.